China-Zölle: Wenn Politiker ökonomische Prozesse falsch verstehen

Freihandel - symbolisiert durch ein globales Netzkonzept

(Bild: metamorworks / Shutterstock.com )

Die EU plant Zölle auf E-Autos aus China. Das zeigt, wie falsch Politiker Wirtschaft verstehen. Ist China wirklich eine Bedrohung für den Freihandel? Ein Kommentar.

In diesen Tagen kann man gut beobachten, wie ein falsches Verständnis ökonomischer Prozesse enorme politische Konflikte nach sich zieht. Die Zölle, die Europa, angetrieben von der Europäischen Kommission und ihrer Chefin Ursula von der Leyen, auf chinesische E-Autos erheben will, zeigen wieder einmal, dass die moderne Politik enormen Schaden anrichtet, weil die Politiker die Systeme, in die sie eingreifen, nicht einmal im Ansatz verstehen.

Allenthalben und nicht nur in Europa werden Gefahren für den globalen Handel an die Wand gemalt, die mit China, China und nochmals China zu tun haben. Dahinter steht ohne Zweifel die Doktrin der amerikanischen Neocons, die mit allen Mitteln verhindern wollen, dass China auch nur an der amerikanischen Hegemonie kratzt.

Aber die Angst vor der chinesischen Gefahr würde ohne die vermutete ökonomische Bedrohung nicht glaubwürdig sein. Doch genau die beruht auf einem Missverständnis. China ist nicht die ultimative Bedrohung für den "Freihandel", weil es den "Freihandel", den alle glauben, verteidigen zu müssen, gar nicht gibt.

Freihandel klingt gut, obwohl kaum jemand weiß, was sich dahinter verbirgt. Typisch für unser Missverständnis hinsichtlich des Freihandels ist ein Zitat wie das folgende. Die Zeit schrieb vor einigen Jahren bei einem ähnlichen Anlass:

Die Idee des Freihandels ist, dass sich jedes Land auf die Herstellung der Güter spezialisiert, die es am günstigsten produzieren kann. Der Überschuss an Gütern kann exportiert und für den Erlös können andere Waren importiert werden. … China zum Beispiel sollte demnach arbeitsintensive Produkte wie Kleidung anfertigen, denn Arbeit ist in Asien relativ günstig. Europa, das höhere Löhne hat, sollte stattdessen Güter herstellen, für die große Produktionsanlagen gebraucht werden.

Das gibt den Nukleus der traditionellen Handelstheorie gut wieder, aber es ist, wie ich in meinem neuen Buch im Detail zeige, das entscheidende Missverständnis. Das Dogma der Freihandelsdoktrin, nach dem sich die Entwicklungsländer auf die Herstellung arbeitsintensiver Produkte beschränken sollen, ist durch nichts zu rechtfertigen. Es wird aber immer wieder als Rechtfertigung von Protektionismus missbraucht und verhindert auf diese Weise, dass die Schwellenländer – mit der Ausnahme von China und wenigen anderen asiatischen Ländern – schnell und erfolgreich aufholen.

Zwar werden in Asien und in China seit Jahrzehnten die allermeisten global verkauften Textil-Produkte hergestellt, aber es wird keineswegs mit arbeitsintensiven Methoden produziert, sondern immer mit modernster westlicher Technologie. Doch die Ökonomen, gefangen in ihrer kleinräumigen Gleichgewichtswelt, versuchen trotz eindeutiger empirischer Nachweise Handelsdogmen zu retten, die noch nie der Wirklichkeit der globalisierten Wirtschaft entsprochen haben.

Gewinnlosigkeit und Handelstheorie

Die neoklassische Theorie des internationalen Handels, die immer noch in den Köpfen der Ökonomen und in der Politik vorherrscht, unterstellt, dass Investitionen, die von Produzenten aus Hochlohnländern (mit hoher Arbeitsproduktivität) in Ländern mit niedriger Produktivität und niedrigen Löhnen getätigt werden, sich nach den relativen Preisen von Arbeit und Kapital richten.

Man unterstellt folglich, dass der Produzent eines mobilen Telefons, der seine Produktion nach China verlagert, für die Produktion in China eine völlig neue Technologie erfindet, die wesentlich arbeitsintensiver als in Deutschland ist, um dem niedrigen relativen Preis von Arbeit in China Genüge zu tun.

Der westliche Produzent schmeißt, nach dieser Vorstellung, seine in Deutschland erfolgreich angewendete Technologie weg, erfindet für China eine neue arbeitsintensive Technologie, mit der er das gleiche Produkt in gleicher Qualität herstellen kann. Das bietet er dann wegen der niedrigeren Produktivität zu genau dem gleichen Preis an, zu dem er es in Deutschland produziert hätte – also ohne jeden Zusatzgewinn. Er verzichtet folglich – laut neoklassischer Theorie – auf den Gewinn, den er gemacht hätte, wenn er seine hohe deutsche Produktivität in Form moderner Maschinen nach China transportiert und dort von Arbeitern bedienen ließe, die im Vergleich zu Deutschland niedrige Löhne erhalten.

Auf diese mehr als erstaunliche Deutung verfällt die neoklassische Theorie, weil sie unterstellt, dass Unternehmen ihre Technologie ohne weiteres in jede Richtung anpassen können und der Wettbewerb schließlich dazu führt, dass die Unternehmen keinen Gewinn machen. Vollständig ausgeschlossen sind in dieser Theorie Gewinne, die sich aus einem monopolistischen Vorsprung oder einem absoluten Wettbewerbsvorteil ergeben.

Nach der Theorie, von der die gesamte Volkswirtschaftslehre seit 200 Jahren beherrscht wird, sind die Unternehmen Zombies, die weder Weltmarktführer werden können (und wollen), noch mit anderen Unternehmen um Marktanteile konkurrieren. Machen die Unternehmen systematisch Gewinne durch Vorsprünge, die sie sich gegenüber anderen Unternehmen erarbeiten, ist der Markt in der Theorie, auf der die gesamte neoliberale Ideologie aufbaut, kein richtiger Markt. Diese Vorstellung ist zwar mehr als lächerlich, aber sie beherrscht wie kaum eine andere Doktrin das ökonomische Denken.

Betrachtet man China durch diese Brille, ist es klar, dass absolute Vorteile, die chinesische Unternehmen haben, nur durch staatliche Subventionen erreicht werden konnten. In den Augen der Leyen-Spieler ist China ein Markt, den man ohne Weiteres mit jedem anderen Markt vergleichen kann. Gewaltige absolute Vorteile und gewaltige Gewinnmargen der aus China heraus exportierenden Unternehmen werden einfach ausgeblendet.

Bisher waren es vorwiegend westliche Unternehmen, die von den riesigen, absoluten Vorteilen profitierten. Direktinvestitionen haben seit der Öffnung Chinas so gewaltige Effekte, dass über viele Jahre der chinesische Handel in keiner Weise mit dem Handel eines der westlichen Industrieländer vergleichbar war.

Der chinesische Handel bestand nämlich zum großen Teil aus dem Handel von westlichen Unternehmen, die ihren Standort in China hatten. Man schätzte vor zehn Jahren noch, dass 60–70 Prozent der gesamten Exporte Chinas nicht die Exporte originär chinesischer Unternehmen waren, sondern Exporte solcher ausgelagerten westlichen Unternehmen.

Nicht auch noch die Chinesen selbst

Nun, da auch originär chinesische Unternehmen mit der Hilfe modernster Technologie und immer noch relativ günstiger Löhne (weil die durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Produktivität in China immer noch relativ niedrig ist) selbst diese absoluten Vorteile nutzen, treten die westlichen Laienspieler auf den Plan und behaupten, es könnten ja nur staatliche Subventionen sein, die die chinesischen Produkte so günstig machten.

Solange westliche Unternehmen die absoluten Vorteile Chinas nutzten, um in der Welt zu Niedrigstpreisen zu verkaufen (oder übermäßig hohe Gewinne zu machen) war alles in Ordnung, jetzt, da die Unternehmen aus dem Schwellenland das Gleiche tut, muss man mit an den Haaren herbeigezogenen Argumenten dagegenhalten. Absurder kann Politik nicht mehr sein.

Nimmt man alles zusammen, bleibt nur eine einzige Schlussfolgerung: Die gesamte Idee des Freihandels ist überholt, weil sie auf Doktrinen beruht, die durch nichts zu rechtfertigen sind. Auch wenn der internationale Handel frei wäre, wüssten wir nicht, ob er auch effizient ist. Genau das aber, die Gleichsetzung von Effizienz und Freiheit, ist es, die den Kern der Freihandelsdoktrin und der angehängten politischen Schlussfolgerungen bis zu den Regeln der Welthandelsorganisation ausmacht.

Die einfache Überlegung, die den Ökonomen und den Politikern das Leben so leicht gemacht hat, dass prinzipiell jeder Eingriff in den freien Handel schädlich und ineffizient ist, hat mit den Verhältnissen in der realen Welt nichts zu tun. Wir benötigen ein ganz neues internationales Handelssystem, das auf den wirklichen Verhältnissen aufbaut und nicht auf der neoklassischen Fiktion vom Freihandel.

Es geht keineswegs nur um staatliche Verzerrungen des Wettbewerbs, sondern um die Frage, was in der realen Welt Wettbewerb überhaupt bedeutet, zumal, wenn man weitere Verzerrungen des Wettbewerbs durch das Weltfinanzsystem (über ungerechtfertigte Wechselkursänderungen) oder Verzerrungen durch Unterbewertungsstrategien innerhalb einer Währungsunion (wie im Falle Deutschlands) einbezieht.

Einfach wird das alles nicht. Ein Land beispielsweise, das sich gegen den massiven Import aus einem anderen Land wehrt, in dem Unternehmen (auch ohne staatliche Hilfen) hohe Produktivität mit niedrigen Löhnen kombinieren und extrem hohe Monopolgewinne erzielen, ist nicht ohne Weiteres zu verurteilen. Diese Maßnahme kann gerechtfertigt sein, wenn durch solche Monopolgewinne ansonsten gesunde Unternehmen im Inland geschädigt oder vernichtet werden.

Auf der anderen Seite aber gibt es Aufholen von Entwicklungs- und Schwellenländern nur durch solche absoluten Vorteile und den Gewinn von Marktanteilen durch diese Länder. Will man das verhindern? Wer allerdings die billigen Importe der eigenen Unternehmen aus einem Schwellenland wie China begrüßt, die billigen Importe aber mit Zöllen belegt, sobald auch chinesische Unternehmen davon profitieren, ist auf jeden Fall ein schlimmer Nationalist.

Völlig absurd wird es, wenn jedes Land, wie gerade von Gabriel Felbermayr in der Zeit vorgeschlagen, auf der Basis der falschen Theorie auch noch versucht, den internationalen Handel nach nationalen strategischen Gesichtspunkten zu nutzen. Dann wird es ein Hauen und Stechen geben, bei dem mit Sicherheit am Ende alle verlieren, Deutschland am allermeisten, weil es in der Vergangenheit am meisten profitiert hat.